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Computernetzwerke

 

Das USENET ist kein physikalisches Netz, sondern ein virtuelles Diskussionsforensystem, das im Internet auf dem Network News Transfer Protocol (NNTP) beruhtgif. Das NNTP ist eine Analogie zum TCP/IPgif für den Diskussionsforenbereich. Über alle Rechner, die das Programm NNTP haben, kann man sich am USENET beteiligen, also Artikel der USENET-Foren lesen und selber Artikel in USENET-Foren posten. FIDONET, MAUS-Netz, Zerberus-Netz, Schule-Netz, Hanse-Netz und JOGU-Netz sind dagegen physikalische Netzwerke. Das bedeutet, daß sie tatsächlich aus bestimmten Rechnern bestehen. Am Beispiel des JOGU-Netzes betrachtet bedeutet dasgif: Das JOGU-Netz ist ein geschlossener Rechnerverbund, der einerseits aus universitätseigenen Computern besteht, die in den verschiedenen Gebäuden auf dem Campus verkabelt sind, andererseits aus (privaten) Computern außerhalb des Universitätsgeländes, die für die Zeit, in der sie im Point-to-Point Protocol (PPP) über Modem und Telephonleitung mit dem Zentralrechner der Universität verbunden sind, gleichwertige Bestandteile des JOGU- Netzes sind. Über den Zentralrechner ist die Zahl der ans JOGU-Netz angeschlossenen Rechner jederzeit genau anzugeben. Aus diesem Grund kann man auch beim JOGU-Netz und beim Schule-Netz, die als öffentlich finanzierte Netze im Prinzip frei zugänglich sind, von `geschlossenen Netzwerkengif' sprechen. Die anderen genannten Netze sind private Mailboxsysteme und i.d.R. als Vereine organisiertgif. Durch Mitgliedschaft und (geringe) Mitgliedsbeiträge erhält das Mitglied die Möglichkeit, vereinseigene Rechner und Netzanschlüsse zu nutzen. Das geschieht i.d.R. dadurch, daß der Nutzer durch Modem und Telephonleitung eine Verbindung zur örtlichen Mailbox des Vereins herstellt. Eine Mailbox ist ein Rechner, der rund um die Uhr in Betrieb ist, elektronische Briefe in einem persönlichen Postfach für den Benutzer speichert und ihn zu anderen Mailboxen des Vereins bzw. zum nächsten Newsserver weiterschaltet. Jedes größere Netzwerk hält auf eigenen Newsservern eigene Diskussionsforen für den Austausch seiner Mitglieder. Diese Diskussionsforen sind aber bei den hier genannten Netzwerken nicht isoliert, sondern über sog. Gateways dem offenen USENET-Konzept angeschlossen. Gateways sind Rechner, die den jeweiligen Netzstandard für die Diskussionsforenorganisation, sozusagen den `Netzwerkidiolekt', in die `Standardsprache' NNTP `übersetzen'. Die Gateway- Verbindung ist in beide Richtungen offen. Mitglieder des FIDONETs können so z.B. Stellung zu Diskussionen im MAUS- Netz nehmen und umgekehrt.

Das FIDONET ist ein Mailboxnetz, das sich seit 1984 aus den USA heraus entwickelt hat und weltweit mehrere tausend Mailboxengif umfaßt.

``Für den deutschsprachigen Raum existieren etwa 300 Diskussionsforen, die im FidoNet `Areas' genannt werden [und über Gateways im USENET als fido.ger* auftauchen; SR]. Das Angebot ist stark technikzentriert, wobei alleine in etwa 70 Prozent der Areas Computerthemen diskutiert werden... . Die meisten Foren werden hier - im Unterschied zu vielen anderen Netzen - von Moderatoren verwaltet, die auf die Einhaltung der für das FidoNet definierten Regeln achten. In diesem Regelkanon, der sogenannten `Policy', sind zum einen die Verhaltensvorschriften für Sysops [System-verwalter, SR] und User beschrieben, zum anderen ist die Organisationsstruktur des Netzes detailliert festgehalten. Das FidoNet ist in fünf verschiedene geographische Zonen eingeteilt... . Jede dieser Zonen besteht aus mehreren Regionen, die wiederum in unterschiedliche Netze aufgegliedert sind. Für jede dieser Zonen gibt es verantwortliche Koordinatoren, die für den reibungslosen Datenfluß verantwortlich sind. Sie werden - und das ist charakteristisch für das streng hierarchisch organisierte Netz mit seiner zentralistischen Struktur - von der jeweils nächsthöheren Ebene ernanntgif.''

Der Anteil der Diskussionsforen aus dem FIDONET im Korpus beträgt 20%.

Das MAUS-Netz (Münsteraner Apple User Service-Netz) ist ein kleineres deutsches Netzwerk, das 1994 114 Mailboxen in den deutschsprachigen Ländern umfaßte. Es ``ist - ähnlich wie das FidoNet - baumförmig aufgebaut, d.h. es besteht eine streng hierarchische Struktur mit einem zentralen System als Servergif.'' Im MAUS-Netz ist der Anteil der technischen Foren nicht ganz so hoch wie in anderen Netzwerken; es steht im Ruf, ``ein kleines, aber feines Netz zu seingif''. Der Anteil der MAUS-Netz-Foren im Korpus beträgt 10,5%.

Das Zerberus-Netz ist das größte private Mailboxsystem in Deutschland. Es ist kein einheitliches Netz, sondern besteht aus den drei Netzen Z-Netz, T-Netz und CL-Netzgif. Dabei ist die Organisationsstruktur des Zerberus-Netzes so unsystematisch, daß nicht einmal die Hierarchieebenen klar sind. Wetzstein bezeichnet das Z-Netz als die oberste Hierarchiestufe; der Mainzer Universitätsnewsserver ordnet dagegen Z-Netz und T-Netz als Untergruppen des Zerberus-Netzes zer.* gemeinsam auf die zweite Hierarchieebene.

``Die Netzpolitik und die Organisationsstruktur des Z- Netzes [Zerberus-Netzes, SR] unterscheidet sich deutlich von der straffen Ausrichtung des FidoNet. Klar definierte, schriftlich fixierte Verhaltensvorschriften für Sysops und User existieren im Z-Netz ebensowenig wie Moderatoren, die den Nachrichtenverkehr in den einzelnen Foren verwalten und die Diskussionen leiten. Informelle Regelungen und Hinweistexte für neue User treten an die Stelle einer verbindlichen `Policy'. Der Datenverkehr wird von einer gewählten Netzkoordination überwacht, die für den reibungslosen Ablauf des täglichen Transfers zwischen den Mailboxes verantwortlich ist. Die technischen Strukturen des Z-Netzes sind weniger klar überschaubar als die des FidoNet. Vielmehr hat sich eine `gewachsene', unsystematische Struktur herausgebildet, in deren Zentrum drei Hauptserver stehen und die angeschlossenen Systeme mit Daten versorgen ...gif''

Mit 32% sind die Zerberus-Diskussionsforen die größte Forengruppe im Korpus.

Schule-Netz, Hanse-Netz und JOGU-Netz sind kleinere Netzwerke, die im Korpus nur mit wenigen Artikeln vertreten sind. Das Hanse-Netz (1%) hatte zum Zeitpunkt der Datenerhebung die eigenen Diskussionsforen noch nicht etabliert. Die einzigen beiden Artikel (a114, a191) haben Vereinsinterna zum Thema. Andere Foren sind zwar eingerichtet, aber noch ohne Beiträge (bei der Datenerhebung führten die Zufallszahlen in drei Fällen zu Foren ohne Artikel, was relativ zu den tatsächlich ausgewählten beiden Artikeln den höchsten Anteil an leeren Foren aller Netzwerke bedeutet). Das Schule-Netz (2,5%) - Offenes Deutsches Schulnetz (ODS) - ist ein öffentliches Netz, das für Schulen und schulspezifische Einrichtungen öffentlich finanziert wird und nur schulspezifische Diskussionsforen anbietetgif. Das JOGU- Netz (4%) bietet neben inhaltlichen Diskussionsforen als lokales Universitätsnetzwerk v.a. Ankündigungen und Informationen des Zentrums für Datenverarbeitung, die Organisation und Funktion des Netzes selbst betreffen.

30% der Artikel stammen aus originären deutschsprachigen USENET-Foren. Das USENET hat keine zentrale Regelungsinstanz. Für den Netzbetrieb notwendige Funktionen werden von Freiwilligen, meist aus dem akademischen Bereich, übernommengif. Auch das Verhalten der Kommunikationsteilnehmer ist nicht in dem Maße reglementiert wie im FIDONET. Während es von der FIDONET- Policy heißt, die ``Policy... umfaßt etwa 20 engbeschriebene DIN-A4-Seiten und regelt alles bis ins kleinste Detail: von der Einteilung des Netzes in verschiedene Bereiche über die Zuständigkeit diverser Koordinatoren, bis hin zum Netzausschluß (nach einem berühmt-berüchtigten Vorbild `Exkommunication' genannt) und zur Festlegung der gemeinsamen Zeiten zum Nachrichtenaustauschgif'', ist die Netiquette  des USENETs (wie auch die des Zerberus-Netzes) nur eine Sammlung von verschiedenen grundlegenden Kommunikationsregeln. Ein Auszuggif:

01. Vergi"s niemals, da"s auf der anderen Seite ein Mensch sitzt

02. Erst lesen, dann denken, dann erst posten

03. Fasse Dich kurz!

07. Achte auf die "Subject:"-Zeile!

08. Denke an die Leserschaft!

09. Vorsicht mit Humor und Sarkasmus!

11. Benutze Mail, wo immer es geht!

12. Gib eine Sammlung deiner Erkenntnisse ans Netz weiter

13. Achte auf die gesetzlichen Regelungen!

14. Benutze Deinen wirklichen Namen, kein Pseudonym

Trotz der Unverbindlichkeit der Formulierungen gibt es ein Bewußtsein für Kommunikationsregeln im USENET, das in der Netiquette gleichsam nur nachträglich verbalisiert istgif.  Zwei Beispiele: Artikel a110 behandelt ein hochtechnisches Problem in einem Forum für allgemeine Diskussionen (zer.z-netz.forum.diskussion.allgemein). Es heißt dort vor der Problemausbreitung:

Hallo R diger,
Diese  Msg ist etwas un blich und ich bitte alle *anderen
User* mich deswegen nicht zu flamen.

Deine  PM  v.  14.07.95 habe ich erhalten.  Leider  wurde
meine  PM an Dich vom 24,07,95 als unzustellbar  an  mich
mit nachstehendem Text zur ckgesandt...

Der Produzent von a110 wollte auf einen privaten elektronischen Brief von Rüdiger zum Thema ``Erneute Tauglichkeitsprüfung ab 60 Jahren'' im Forum zer.z- netz.forum.diskussion.allgemein mit einem ebenfalls privaten elektronischen Brief (PM steht für private mail) antworten. Weil dieser elektronische Brief aber nicht zugestellt werden konnte, hofft der Produzent von a110 über das Forum, in dem die Diskussion zum Thema ``Erneute Tauglichkeitsprüfung ab 60 Jahren'' stattgefunden hat, als gemeinsamen Bezugspunkt Kontakt zu Rüdiger aufnehmen und das technische Problem lösen zu können. Durch die Vorab- Entschuldigung läßt der Produzent erkennen, daß ihm der Verstoß gegen die (Regeln 07, 08 und 11 der oben zitierten) Netiquette bewußt ist. Ähnliches gilt für a184: 

P>  die  Frage ist hier zwar bestimmt schon oft  gestellt worden

Yup,  aber  da ich die .sub.-Netze nicht per PM erreichen kann noch einmal im
Brett. (Bitte um Nachsicht)

P markiert seine Frage als für die Netzöffentlichkeit langweilig, was einen privaten elektronischen Brief als Antwortform determiniert. Dadurch, daß die Anwort dessenungeachtet im Diskussionsforum (``Brett'') auftaucht, werden die Regeln 08 und 11 der Netiquette verletzt. Das Bewußtsein der Regelverletzung führt so auch hier dazu, daß der Produzent der Antwort sein Verhalten begründet - `PM ist nicht möglich' - und um ``Nachsicht'' bittetgif.

Im Falle einer konsequenten Nichtbeachtung der Netiquette hat die Netzöffentlichkeit die Möglichkeit, den Verletzer konsequent zu flamen. Flamen (engl. flaming, `glühend, zündend') bedeutet im Jargon, `jemanden wegen Verstoßes gegen die Netiquette beschimpfen'. Weitere Sanktionen sind im USENET nicht vorgesehen.




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