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Kommunikationstheorie

 

Von Unschärfen in der Fassung des Kommunikationsbegriffs war schon in der Erörterung der sozial- und geisteswissenschaftlichen Computerkritik die Rede. Kommunikation ist ein heute in fast jedem Kontext gern verwendeter Begriff, dessen Bedeutung durch den häufigen Gebrauch weitgehend verwischt ist. Der Sprachkritiker Pörksen rechnet Kommunikation deshalb neben anderen, gerade im Computerbereich zentralen Wörtern wie Information, Austausch oder Prozeß zu den ``Amöbenwörterngif'' (auch: ``Plastikwörter''). Die Sprachwissenschaft hat immer wieder versucht, diesen ursprünglich wissenschaftlich klaren, dann jedoch von zu häufigem Alltagsgebrauch entstellten Begriffen wieder eine exakte Fassung zu geben. Eine geläufige Definition lautet:

``Kommunikation ist ein Prozeß, bei dem mindestens folgende Elemente vorhanden sind: eine Mitteilung wird von einer sendenden Instanz an eine empfangende gerichtet, wobei die Mitteilung durch Symbole in einem Medium ausgedrückt und durch einen Kanal übermittelt wird. Erfolgreiche Kommunikation ist möglich, wenn die Symbole beiden Instanzen zugänglich sindgif.''

Reinhard Fiehler erkennt in einer solchen Begriffserklärung die sog. ``Conduit-Metaphergif'' (engl. conduit: `Kanal', `Leitungsröhre'). Kommunikation funktioniert danach wie ein Paketdienst. Mitteilungen werden von Sendern verfertigt (bzw. kodiert), wie Pakete verpackt und über einen Transportkanal zu Empfängern transportiert, die die Pakete auspacken (und dadurch die Mitteilung dekodieren). Ein solches Modell erlaubt es, von Mensch-Maschine-`Kommunikation' zu sprechen und diese Form von Kommunikation gleichberechtigt neben die Kommunikation zwischen Menschen zu stellengif. Dabei gilt diese Definition selbst in der analytischen Philosophie als nicht hinreichend. Neben einem ``beiden Instanzen zugänglichen Symbolsystem'' ist die Möglichkeit des Empfängers, die Mitteilung in irgendeiner Weise zu verarbeiten und darauf zu reagieren, notwendige Voraussetzung für Kommunikation. Beides ist in obiger Definition nicht explizit ausgedrückt. Der Wirklichkeit der Kommunikation als lebendigem Prozeß zwischen Menschen noch angemessener ist jedoch die phänomenologische Begriffskonzeption. Brinker und Sager das, was in diesem Prozeß entsteht, ein ``kommunikatives Konstrukt'' und definieren:

``Im Gegensatz zur einfachen Transferkette [der Conduit- Metapher, SR] muß man bei einem solchen Modell davon ausgehen, daß zwei oder mehr Partner ihre kommunikativen Aktivitäten zu einem gemeinsamen, gestalthaften Gebilde - einem kommunikativen Konstrukt... - zusammensetzen. Dieses Konstrukt ist zu jedem Zeitpunkt von allen Partnern aus deren jeweiligem Blickwinkel wahrnehmbar. Bei einer solchen Vorstellung werden also nicht kommunikative Einheiten von einem zum anderen transferiert, sondern in einem gemeinsamen kommunikativen Raum (in der Mitte) aufgebautgif.''

Sinngif wird also nicht von einem Kommunikationsteilnehmer zum anderen übertragen, sondern entsteht konkreativ zwischen den Kommunikationsteilnehmern, und jeder Kommunikations-`partner' ist permanent Teilhaber am gemeinsamen Sinn.

In der vorliegenden Arbeit soll nicht die Überlegenheit der einen oder anderen Definition bewiesen werden. Beide Begriffsfassungen werden als unterschiedliche ``Konzeptualisierungen'' von Kommunikation im Sinne von Fiehlergif gesehen. Die im ersten Zitat ausgedrückte Konzeptualisierung hat einen verkürzten logisch- analytischen Hintergrund, die zweite einen phänomenologischengif. Beide haben jeweils angemessene Anwendungsbereiche. Im Bereich der Künstlichen Intelligenz, bei den Versuchen, Sprache und Kommunikation durch den Computer simulieren zu lassen, ist mit der phänomenologischen Konzeptualisierung nichts zu erreichen, menschliches Sozialverhalten dagegen läßt sich mit der logisch-analytischen Konzeptualisierung nicht adäquat beschreiben.

Von meiner philosophischen Überzeugung her setze ich die zweite Konzeptualisierung als die gültige an: Kommunikation ist menschliches Sozialverhalten. Dadurch können die in Kap. 1.4.1 angedeuteten Formen der Mensch- Maschine-Kommunikation aus dem Untersuchungsbereich ausgeschlossen werden: In der Kommunikation mit der Maschine kann sich a priori niemals ein gemeinsamer Sinn konstituieren. Eine solche Einschätzung infolge anthropomorphisierender Betrachtung des Computers wäre eine folgenschwere ``Verwechslunggif''. Das bedeutet nicht, daß die Analyse bestimmter Kommunikations-`produkte' nicht nach dem nachrichtentechnischen Modell vorgenommen werden könnte. Das Erkenntnisziel der vorliegenden Grundlagenuntersuchung rechtfertigt weitgehende Methodenpluralität. Will man jedoch den Kommunikations- `prozeß' als solchen hinreichend beschreiben - was eben nicht Zweck der vorliegenden Arbeit ist - , muß man auf die phänomenologische Konzeptualisierung zurückgreifen. In der (sozial-)psychologischen Literatur, auf die hier oft zurückgegriffen wird, wird das nachrichtentechnische Modell, erweitert v.a. um den für menschliche Kommunikation konstitutiven Aspekt der Zielgerichtetheit, verwendetgif. Das ist vertretbar. Zielgerichtetheit darf aber, wie Scherer selbst implizit einräumtgif, nicht mit Intentionalität gleichgesetzt werden. Intentionalität ist eine phänomenologische Kategorie, Zielgerichtetheit eine systemtheoretische. Das nachrichtentechnische Modell bietet klare Analysevorteile und soll nicht verworfen werden. Seine Erweiterung um ``interaktive und interpretative Komponentengif'' darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß es Teil der logisch-analytischen Konzeptualisierung von Kommunikation bleibt. Terminologien und Methoden unterschiedlicher Konzeptualisierungen müssen theoretisch klar voneinander unterschieden werden.


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