next up previous contents
Next: Gegenthese Up: Untersuchungsthese Previous: Untersuchungsthese

Geistes- und sozialwissenschaftliche Computerkritik

 

Die Geistes- und Sozialwissenschaften stehen der Computertechnik traditionell sehr skeptisch gegenüber. In den 60er Jahren wird die Computertechnik als konsequentester Ausdruck der `instrumentellen Vernunft' entdeckt, gegen die sich die sog. kritische Geisteswissenschaft aus sozialemanzipatorischem Impetus heraus seit der 68er-Revolution stellt. Computernetzwerke standen in dieser Zeit noch nicht zur Diskussion. Sprache und Computer waren dadurch in Kontakt, daß die Eingabe und das Programmieren mittels einer Form von Sprache erfolgte. D.h., Sprache wurde in ihrer Stellung als Mittler der Mensch-Maschine-Kommunikation betrachtet. Wenn man Sprache zum Programmieren von Computern benutzt (als `Computersprache') oder wenn man Programmen sprachlich manipulieren will, besteht Zwang zur Formalisierung der Sprache. Man befürchtete, durch diese funktionelle Sprache könne die Alltagssprache verarmen; sie könne durch die formalisierte Sprache `kolonisiert' werdengif. Schon 1951 hatte Horkheimer über die Sprache im Zeitalter der instrumentellen Vernunft gesagt:

``Die Sprache wird dabei zu einem bloßen Werkzeug in der allmächtigen Produktionsapparatur der modernen Gesellschaft. Jedes Wort, das nicht als Rezept für ein Verfahren, als Mittel, andere Menschen in Bewegung zu setzen, als Anweisung, Erinnerungsstütze oder Propaganda dient, sondern als eigener Sinn, als Reflex des Seins, als dessen eigene Regung verstanden sein will, gilt als mythisch und sinnlos, und die Menschen erfahren auch schon Sprache ganz so, wie der Positivismus und Pragmatismus sie ausdeutengif.''

In (klassen-)kämpferisch verfaßten Aufsätzen und Sammelbänden der späten 70er und frühen 80er Jahre mit Titeln wie Wie Menschen zu Daten verarbeitet werden oder ``Da wird der Geist Euch wohl dressiert...'' kontrolliert und abserviertgif wird diese Einschätzung sprachwissenschaftlich und psychologisch konkretisiert:

``Voraussetzung jeder Eingabe von Inhalten (inklusive Programmen) in den Computer ist die Formalisierung und daneben der sequentielle Input (Stück für Stück hintereinander) von Inhalten. Formalisierung von Inhalten bedeutet aber auch (meist) Reduktion von Inhalten. Nicht alle Inhalte lassen sich restlos formalisieren. Der Programmierende und zusätzliche Daten Eingebende wird deshalb nur solche Inhalte ``computeri-sieren'' können, die formalisierbar sind. Sequentielle Eingabe von Inhalten bedeutet, im Bewußtsein gleichzeitig/nebeneinander Vorgehendes auseinanderzureißen und sprachlich/gedanklich querverbundene Einheiten (Bilder, Assoziationen, Konnotationen, Wertungen usw.) zu zerstören. [...] Das Resultat kann zunehmende Entfremdung und Verdinglichung menschlichen Bewußtseins und menschlichen Lebens bedeutengif.''

Die computerfeindlichen Positionen dieser Zeit berufen sich explizit auf die Arbeiten von Joseph Weizenbaum. Weizenbaum hatte sich als Computerkritiker am im übrigen äußerst fortschrittsgläubigen Massachusetts Institute of Technologygif in den 60er Jahren einen Namen gemacht.  Anders als viele seiner Epigonen hat sich der Computerfachmann Weizenbaum differenziert mit Chancen und Gefahren der Computertechnik auseinandergesetzt, wobei er allerdings zu einer insgesamt negativen Beurteilung kommt. Mit seinem schon 1964/66 entwickelten Therapieprogramm ELIZA, das bis in die Mitte der 80er Jahre in fast jedem computerkritischen Aufsatz angeführt wirdgif, hat er gezeigt, wie schnell der Computer anthropomorphisiert wird, die Grenzen zwischen Technik und Alltagswelt verwischen und welche Gefahren davon ausgehengif. Allerdings befaßt sich auch Weizenbaum in seiner 1976 erschienenen Publikation Computer Power and Human Reason. From Judgement to Calculationgif ausschließlich mit der Mensch-Maschine-Kommunikation. Obwohl er die Advanced Research Projects Agency (ARPA), in deren Rahmen die dem Internet zugrundeliegende Technologie seit Ende der 60er Jahre entwickelt wurde, ausdrücklich behandelt, deutet er das Thema Computernetzwerke und computervermittelte Mensch-Mensch- Kommunikation nicht einmal angif. Die Möglichkeit computervermittelter Mensch-Mensch-Kommunikation scheint Mitte der 70er Jahre noch undenkbar gewesen zu sein. Anders ist es jedenfalls nicht zu erklären, daß ein Computerwissenschaftler wie Weizenbaum sie ignoriert.

Sozialwissenschaftliche Forschung beschäftigt sich folglich bis zum Beginn der 90er Jahre mit den gesellschaftlichen Auswirkungen der Mensch-Maschine- Kommunikation. Tietel und Löchel erörtern die schon von Weizenbaum mit Hilfe von ELIZA festgestellte unreflektierte Anthropomorphisierung des Computers und erklären das Phänomen ``als Verwechslung zwischen menschlichem Sprechen und den sprachähnlichen Operationen des PCsgif.''

Jüngere sprachwissenschaftliche Computerkritik greift auf die Argumente Weizenbaums und der von ihm ausgehenden Tradition zurück, wendet sie allerdings nicht nur gegen die Mensch-Maschine-Kommunikation, sondern gegen alle Anwendungsmöglichkeiten der Computertechnik, also auch gegen die Kommunikation via Netzwerk. Giese und Januschek spekulieren über ``die Anpassung an bestimmte sprachlich- logische Strukturen, die den am Computer arbeitenden Menschen abverlangt wird, wollen sie erfolgreich mit der Maschine umgehen'' und nennen im selben Atemzug ``die Möglichkeiten, immer mehr soziale Handlungen, die bislang zu entscheidenden Anteilen in Face-to-Face-Interaktion oder schriftsprachlich erfolgten, per Bildschirm und Tastatur vermittelt zu erledigengif.'' Ihre Folgerung ist eine These, die in den Geistes- und Sozialwissenschaften weit verbreitet ist und die Gründe für die Skepsis gegenüber der Beschäftigung mit Computern gebündelt ausdrückt:

``Kurz: die Computerisierung scheint zu einer Reduktion der kommunikativ-sozialen Funktion von Sprache zu führen sowie zu einer Verarmung der sprachlichen Ausdrucksformen in Richtung auf das für die zur Steuerung maschinenmäßiger Prozesse durch Informationsflüsse Unerläßlichegif.''

next up previous contents
Next: Gegenthese Up: Untersuchungsthese Previous: Untersuchungsthese

rabas000@goofy.zdv.uni-mainz.de