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Theoretische Vorüberlegungen

 

In Kapitel 1.4.2 wurde festgestellt, daß Kommunikation auf unterschiedliche Arten zu konzeptualisieren ist. Brinker und Sager unterscheiden zusätzlich eine ``Ergebnisanalyse'' von einer ``Verfahrensanalyse'' bei der Beschreibung von Gesprächen:

``Die Herausarbeitung der manifesten Struktureinheiten des Gesprächs einerseits [Ergebnisanalyse, SR] und das Nachzeichnen der interaktiven Verfahren ihrer Entstehung und Verwendung andererseits [Verfahrensanalyse, SR] sind letztlich zwei einander ergänzende und in ihrer Komplementarität für eine umfassende Analyse unverzichtbare Teilverfahrengif.''

Der Unterschied zwischen den Analyseformen liegt nicht darin, daß unterschiedliche Phänomene betrachtet werden, sondern darin, daß dieselben Phänomene unterschiedlich betrachtet werden. Die Paarsequenz in a015

SAP> Worin liegt eigentlich Dein Bezug zu diesem Brett ?
Nun ja; ich bin ein Mensch, genuegt das nicht?

kann einerseits als Struktur aus einem initiierenden und einem reaktiven Gesprächsbeitrag gesehen werden. Bei dieser `Ergebnisanalyse' werden die beiden Elemente als zwei Elemente einer abgeschlossenen Paarsequenz betrachtet. Der erste Schritt ist eine Frage, ein direktiver und damit gesprächsinitiierender Sprechakt. Der zweite Schritt ist die Antwort. Sie besteht aus zwei assertiven Sprechakten (darüber darf der Interrogativsatz nicht hinwegtäuschen) und ist responsiv, weil er die Frageintention als solche akzeptiert und darauf mit der gewünschten Auskunft reagiert. In einer `Verfahrensanalyse' reicht ein solcher Gesamtblick auf die abgeschlossene und im empirischen Material dokumentiert vorliegende Situation nicht aus. Der Analytiker muß das Gespräch Schritt für Schritt rekonstruieren und nach jedem Gesprächsschritt fragen, welche Gesprächssituation an genau dieser Stelle vorliegt. Das Gespräch wird nicht als in seiner Ganzheit vorliegendes Ergebnis analysiert, sondern als ``offener Sinnkomplex'', wobei nach jedem Schritt zu überprüfen ist, inwieweit sich bereits Sinn konstituiert hat bzw. Sinn für folgende Schritte determiniert istgif. Eine Frage determiniert natürlich in gewisser Weise eine Antwort; determinieren ist hier jedoch nicht als ``unausweichlich und `Bedeutungsaspekt' würde hier zu weit führen.'' gemeint. Schließlich könnte der Produzent von a015 auf die Frage auch mit einer Gegenfrage oder mit einer Aussage reagieren, die nicht responsiv ist. Die Verfahrensanalyse gibt an jeder Stelle des Gesprächs eine Deutung des bis dahin erreichten Sinns und formuliert Hypothesen über die Weiterentwicklung des Gesprächs; die Ergebnisanalyse geht dagegen vom Ergebnis her direkt an die Gesamtdeutung.

Eine weitere für die Analyse wichtige Vorklärung betrifft die Begriffe `Beziehungsaspekt' und `Inhaltsaspekt'.  Sie wird hier im Anschluß an die Position Werner Hollys vorgenommen. Holly stellt klar, daß Beziehungs- und Inhaltsaspekt ``notwendige Teilhandlungen einer kommunikativen Handlung'' sind und folglich hierarchisch nebeneinander stehen (nicht etwa der eine metakommunikativ zum anderen)gif. Jede Äußerung hat also einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt. Der Inhaltsaspekt drückt sich im propositionalen Akt aus, der Beziehungsaspekt im illokutiven Akt. Das heißt aber nicht, daß Illokution und Beziehungsaspekt identisch wären. Der illokutive Akt drückt die ``Einstellung des Sprechers zur Proposition'' aus. Der Beziehungsaspekt wird aber erst deutlich, wenn man die ``Einstellung des Sprechers zur Einstellung des Hörers zur Proposition'' erhellt, weiterhin die ``Einstellung des Sprechers zur Einstellung des Hörers zur Einstellung des Sprechers zur Proposition'' etc.. Die beiden letztgenannten bezeichnet Holly als ``interpersonalpropositionalegif'' Einstellungen, welche den Beziehungsaspekt einer Äußerung bestimmen. Wenn der Beziehungsaspekt auch in der Proposition vorliegt, d.h. wenn die Beziehung der Gesprächspartner im Gespräch explizit thematisiert wird, liegen nach Holly ``beziehungsbezogene Sprechhandlungen'' vorgif. Diese Fälle sind aber eher die Ausnahme. I.d.R. bleibt der Beziehungsaspekt implizit. Ein wichtiger und für die Kommunikation besonders relevanter Teilbereich des Beziehungsaspekts drückt sich in den rituellen Kontaktmustern der sog. ``Imagearbeit'' aus. Imagearbeit bedeutet, daß jeder Gesprächspartner ein Image für sich und den Gesprächspartner in rituellen Kontaktmustern schafft, beachtet und nach Verletzungen wiederherstellt. Das geschieht in jeder Gesprächssituation: Das Image wird nicht vorgefertigt in die Gesprächssituation importiert, sondern konstituiert sich jeweils neugif. Neben der Bemühung um die Erscheinung des Selbst, um ein eigenes konsistentes Image ist jeder Gesprächsteilnehmer somit für seine Gesprächspartner und damit für die gesamte rituelle Ordnung verantwortlich. Wird diese Art der Kooperation nicht beachtet, ist ein Mißlingen der Interaktion zu erwarten. Rituelle Muster sind allgegenwärtig. Sie beschränken sich nicht auf Anfang und Ende des Gesprächs, wo sie sich in Begrüßung und Verabschiedung floskelhaft ausdrücken. Sie sind in einer Begleitrolle auch im inhaltlichen Kernbereich des Gesprächs vorhanden. Holly schreibt:

``[D]er Hörer [kann] jeder Äußerung über ``irgendetwas'' auch etwas entnehmen über die Einschätzung seines eigenen Images oder über die Selbsteinschätzung des Gesprächspartners... . Die rituellen Gesichtspunkte bleiben somit immer im Spiel, allerdings meist eher unterschwellig und nebenbei , während die offizielle Aufmerksamkeit dem inhaltlichen Thema giltgif.''

Das betrifft v.a. die bestätigenden und korrektiven Sequenzen, auf die im folgenden Beispiel konkret eingegangen wird.

Für die praktische Anwendung dieser Analyse sind zwei Einschränkungen zu beachten. Erstens ist die Forderung nach terminologisch und methodisch sauberer Trennung von Ergebnis und Verfahrensanalyse in der Praxis schwer durchzuhalten. Statt die verfahrensanalytische Beschreibung konsequent durchzuführen, verweisen selbst Brinker und Sager immer wieder zurück auf die Ergebnisanalysegif. Zweitens ist gerade die Verfahrensanalyse dermaßen komplex, daß sie stimmig bisher nur an stark ritualisierter Kommunikation durchgeführt werden konntegif. Mit a005 wurde für die Analyse aber ein fünfschrittiges Gespräch gewählt, das vielschichtig und mit fünf Gesprächsschritten auch nicht typisch für Gespräche in den Foren ist (mehr als 90aller dialogischen Texte umfassen nur zwei oder drei Schritte). Es wurde dennoch gewählt, weil hier weder das Durchführen einer mustergültigen Gesprächsanalyse primäre Intention ist, noch komplexe dialogische Interaktion als typisch für die Kommunikation in den Foren behauptet werden soll. Stattdessen soll im Sinne der Ausgangsthese dieser Arbeit mit gesprächsanalytischen Mitteln gezeigt werden, daß interaktive Verfahren, die bisher nur an gesprochener Sprache gezeigt wurden, auch in der Sprache der elektronischen Diskussionsforen vorkommen - wenn sie auch von einem bestimmten Komplexitätsgrad an selten sind. Die qualitative Gesprächsanalyse stellt also das letzte in dieser Arbeit verwendete Analyseinstrumentarium zur Verfügung, mit dessen Hilfe der Nachweis konzeptioneller Mündlichkeit in der Schriftlichkeit der Internet-Kommunikation geführt wird.


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rabas000@goofy.zdv.uni-mainz.de