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Mimik und Emoticons

 

Die Mimik, der Gesichtsausdruck, stellt nur eines der nonverbalen-nonvokalen Signalsysteme in der Face-to-Face- Kommunikation dar. Die wichtigste Funktion des Gesichtsausdrucks ist die Darstellung von Emotionen. Auch andere nonverbale-nonvokale Signalsysteme wie Hand- und Körperbewegungen und die Stellung der Interaktionsteilnehmer zueinander im Raum (Kinesik und Proxemik) haben diese Funktion. Wie Wallbott betont, kann aber allein das Gesicht die Qualität von Emotionen hinreichend ausdrücken; andere Signalsysteme für sich können lediglich ihre Intensität sichtbar machengif. Meine Beschäftigung beschränkt sich schon deshalb auf die Mimik, weil der Gesichtsausdruck die einzige Form nonverbalen-nonvokalen Verhaltens ist, die in der Sprache der Internet-Kommunikation substituiert wird. Die Substitution erfolgt mit Gesichtsikonen, die aus ASCII- Zeichen zusammengesetzt werden. Das Standardzeichen ist der `Smiley', ein Zeichen aus Doppelpunkt, Bindestrich und runder Klammer, welches im Uhrzeigersinn um 90 Grad gedreht ein lachendes Gesicht repräsentiert: :-). Weil nicht alle `Smileys' ein solches Glücks- oder Zufriedenheitsgefühl ausdrücken, nennt man die Symbole neutraler Emoticons. In dieser Bezeichnung ist die Funktion der Zeichen angedeutet: der Ausdruck von Emotionengif. Die Formen in ihren Standardausprägungen sind übereinzelsprachlich normiert. Die Kodierung ist aber durchaus stetig, d.h. Emotionen können durch Modifikation des Emoticons als stärker oder schwächer markiert werdengif.

Emoticons sind nur Ersatzzeichen für wirkliche nonverbale Zeichen. Nonverbales Verhalten unterscheidet sich vom verbalen Verhalten durch einen hohen Grad an Unbewußtheit. Zwar ist auch der Gesichtsausdruck zu manipulieren, aber weit schwerer als das verbale Verhalten. Manche unbewußte Prozesse (z.B. Erröten) sind fast überhaupt nicht zu kontrollieren. Die `wahre Verfassung' des Interaktionsteilnehmers wird dadurch deutlichgif. Das ist bei den Emoticons nicht der Fall. Ihre Setzung erfolgt mit derselben Bewußtheit wie der verbale Ausdruck: Formal sind Emoticons ein piktographisches Zeichensystem. Das bedeutet, daß die `wahre Verfassung' durch Emoticons nicht erhellt wird: Emoticons sind Teil der bewußt gesteuerten Selbstdarstellung.

Die Analyse der Emoticons orientiert sich am Schema, das Klaus Scherer für die Funktionen nonverbalen Verhaltens im Gespräch ausgearbeitet hatgif. Scherer unterscheidet dort vier Funktionsdimensionen: die parasemantische, die parasyntaktische, die parapragmatische und die dialogischegif, von denen in der CVK aber nur die Zeichen der parasemantischen Dimension durch Emoticons substituiert werden.

Zur parasemantischen Dimension schreibt Scherer:

``Die parasemantischen Funktionen der nonverbalen Verhaltensweisen kann man auffassen als Beziehungen spezifischer nonverbaler Verhaltensweisen zu den Bedeutungsinhalten der sie begleitenden verbalen Äußerungengif.''

Die Einstellung des Sprechers zu seiner Äußerung wird illustriert. Das nonverbale Verhalten ist Teil der illokutiven Kraft der Äußerung. Dabei unterscheidet Scherer vier Funktionen, die allesamt in der CVK von Ersatzformen wahrgenommen werden. Substitution liegt vor, wenn die nonverbale Äußerung eine verbale Äußerung nicht begleitet, sondern ersetzt. Z.B. in a005:

LR>> ja mit dem Champignon erher... ;->GK> :-)))))))

Auf eine Äußerung von LR (eine erotische Anspielung) reagiert GK mit dem Zufriedenheitsemoticon :-), das in der vorliegenden Ausprägung :-))))))) allerdings als besonders stark gekennzeichnet ist. Man könnte es als `breites Grinsen' paraphrasieren. Substitutionen sind in der CVK aber selten. Weit häufiger sind die wirklich verbale Äußerungen begleitenden Funktionen Amplifikation (Betonung, Verstärkung der sprachlichen Äußerung), Kontradiktion (Widerspruch zur sprachlichen Äußerung) und Modifikation (Relativierung der sprachlichen Äußerung, zwischen Amplifikation und Kontradiktion angesiedelt). Standardzeichen für die Amplifikation sind das Zufriedenheitsemoticon :-) und das Unzufriedenheitsemoticon :-(; Standardzeichen für Kontradiktion und Modifikation ist das Ironiesymbol ;-) (durch das Semikolon wird ein zugekniffenes Auge symbolisiert). Beispiele aus dem Korpus:

und alles funzt bestens :-))
(a040)

Ich  hab  in  dieser  Gruppe  schon  seit  Wochen  keinen
einzigen Artikel mehr gesehen.
 :-(
(a050)

Natuerlich,  die Werbung ist schuld. Im Grunde  sind  wir
Opfer der Umstaende ;))
(a035)

Der  Raum  selbst ist unendlich und war  schon  immer  da
(sicher bin ich mir da natuerlich nicht...:-) )
(a008)

In a040 und a050 liegt Amplifikation vor. Die Beschreibung einer gelungenen technischen Operation in a040 - funzt ist eine schon relativ weit verbreitete Kurzform für funktioniertgif - wird durch das verstärkte Zufriedenheitssymbol :-)) quittiert; in a050 wird die negative Wertung des beschriebenen Faktums, die sich bereits aus dem verbalen Kontext ergibt, durch das Unzufriedenheitssymbol :-( betont. Kontradiktion liegt in a035 vor. Die Bedeutung der Äußerung wird durch die Ergänzung eines von der Grundform abgewandelten, aber dennoch eindeutig als solches zu identifizierendes Ironiesymbol ;)) in ihr Gegenteil verkehrt. Der Produzent widerspricht damit einer vorangegangenen Äußerung seines Gesprächspartners mit der Bedeutung `die Werbung ist schuld am Scheitern des Computerbenutzers'. Die Funktion des Standardemoticons :-) in a008 ist schließlich Modifikation. Im Sinne Scherers könnte man es als `entschuldigendes Lächeln' paraphrasierengif. Der Textproduzent drückt damit aus, daß er eine wissenschaftliche und philosophische Frage gewaltiger Tragweite - `Wie alt ist das Universum?' - in seinem Text nur absolut unzureichend streifen kann.

Den Emoticons in den parasemantischen Funktionen verwandt sind die sog. `Soundwörtergif', die im vorliegenden Korpus allerdings kaum vorkommen. Ein Ausdruck wie *grr* (a195) hat im Kontext dieselbe Funktion wie :-(. Diese Soundwörter sind der Comicsprache entlehnt. Gleiches gilt für die sog `Aktionswörtergif'. Sie haben die Form von auf den Stamm reduzierten Verben und bezeichnen bestimmte Tätigkeiten oder Vorgänge. Im Korpus gibt es zwei Beispiele (a034, a181), in denen das Ausschneiden eines Papiers mit einer Mitteilung simuliert wird:

---schnipp--- [...] ---schnapp--- (a034).

Nicht substituiert werden nonverbale-nonvokale Zeichen in den anderen drei Funktionsdimensionen. Das liegt in bezug auf die parasyntaktischen Funktionen - ``zum einen die Segmentation des Sprachflusses durch nonverbale Zeichen, zum andern die Synchronisation verschiedener Verhaltensweisen in verschiedenen Kommunikationskanälengif'' - daran, daß im graphischen Kode weder ein ``Sprachfluß'' noch verschiedene Kommunikationskanäle vorliegen: Einziger Kanal ist die graphische Bildschirmoberfläche. Die parapragmatischen Funktionen - ``einmal die Ausdrucksfunktion oder Expression, zum andern die Reaktion auf Äußerungen des Dialogpartnersgif'' - kommen in den Korpusartikeln zwar vor, aber nicht, wie Scherers Definition verlangt, als von verbalen Äußerungen unabhängig. Als parapragmatisch einzuordnen ist allenfalls ein Beispiel wie das oben zitierte a005gif. Die dialogische Funktionsdimension, in der die für das Funktionieren der dyadischen Interaktion notwendigen Prozesse ablaufengif, setzt Scherer als zweigeteilt an: Regulation betrifft v.a. das System des Sprecherwechsels, das in der Offline-Kommunikation der elektronischen Diskussionsforen nicht relevant ist. Relation betrifft v.a. Statusfragen, die in der CVK nur eine untergeordnete Rolle spielengif.

Schon dadurch, daß Substitution nonverbalen-nonvokalen Verhaltens durch Emoticons lediglich die parasemantische Dimension betrifft, haben Emoticons eine weit geringere Funktionsbreite als der wirkliche Gesichtsausdruck, den sie ersetzen. Aus diesem Grund ist die Einschätzung Naumanns, ``smileys do come very close to nonverbal communication by facial and gestural signals that serve very similar purposes, i.e. they transport meaning that cannot be transported on other channels nearly as effectivelygif'', skeptisch zu bewerten. Auf der anderen Seite integrieren Emoticons trotz aller Defizite ein Element in die Schriftsprache, das bisher der Mündlichkeit vorbehalten war. Die Schriftlichkeit wird um ein funktional der Mündlichkeit entlehntes piktographisches Zeichensystem erweitert. Dieses System ist mittlerweile so ausgeprägt, daß es ein Wörterbuch der Emoticons gibtgif. Außerdem sind Emoticons übereinzelsprachlich verständlich. Obwohl das zunächst einmal Folge der nordamerikanischen Vorherrschaft im Computerbereich ist, haben Emoticons dadurch eine Eigenschaft, die bisher der nonverbalen Mimik vorbehaltengif und damit der Mündlichkeit zugeordnet war. Der Verweis auf die konzeptionelle Mündlichkeit erfolgt auch durch die Distribution der Emoticons im Korpus. Sie tauchen v.a. in Dialogsituationen auf. 80% der Artikel, in denen Emoticons vorkommen, sind dialogisch. Anders gerechnet finden sich in 38% der dialogischen Texte Emoticons, aber nur in 8,5Texte der Textsorte DIR 18 sind, die ja einen Dialog determinierengif). Die große Rolle der Emoticons in der Dialogizität der Diskussionsforen wird in der Gesprächsanalyse im folgenden Kapitel im einzelnen gezeigt.

Mit dem Nachweis der Substitution der Mimik und damit eines Elements aus dem Malfeldes ist die Untersuchung der drei exemplarischen Phänomene, mit denen der Anteil von (Substitutions-)Formen der konzeptionellen Mündlichkeit in der Schriftlichkeit der CVK gezeigt wurde, beendet.


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